Brief an die Bundestagsabgordneten
Mein Brief an alle Bundestagsabgeordnete kam einen Tag zu spät. Da war schon wegen der angeblichen besonderen Eilbedürftigkeit ein schräger "Deal" vereinbart worden. Tatsächlich sollte verhindert werden, dass sich die Abgeordneten umfassend informieren und kritische Fragen stellen.
25.01.17
2/00CL01 ck
D2/83-17
Sehr geehrte Damen und Herren,
wann kommt eigentlich das VW-Korrektur-Gesetz, in dem alle Abgaswerte der letzten 10 Jahre für rechtmäßig erklärt werden? Schließlich ist auch VW im öffentlichen Interesse. Die Fälle sind durchaus vergleichbar. Hier wie dort haben Insider seit Jahren gewusst, dass die Zahlen falsch sind.
Jetzt wird mit Hilfe SokaSiG versucht einen rechtswidrigen Zustand aufrecht zu erhalten.
Ist so Rechtsstaat?
Mit Entsetzen habe ich auf der Tribüne die „Sachverständigenanhörung“ zur SokaSiG verfolgt. Ich vertrete in den AVE-Verfahren vor dem BAG 5 Unternehmen, die darauf vertrauen, dass vor Gericht Recht gesprochen wird und dies dann auch Bestand hat. Dies gilt auch für die Beteiligten der Verfahren, die bei den Arbeitsgerichten in Wiesbaden und Berlin anhängig sind.
Demokratie und Rechtstaatlichkeit habe ich mir anders vorgestellt. Die Gegner im BAG-Verfahren wurden in eigener Sache gehört, die Antragsteller nicht. Wo waren die Sachverständigen für die "Außenseiter", für meine Mandanten?
Die Antragsteller und viele andere Unternehmen haben sich darauf verlassen, dass die Rechtswidrigkeit der AVE festgestellt wird, zuletzt am 25. 1. 2017 für 2012 und 2013. Auch das ist Vertrauensschutz.
Dazu genau:
1. Das Gesetz ist komplett überflüssig. Es reicht eine Stichtagsregelung, ein Datum bis zu dem Erstattungen geltend gemacht werden können. Das BAG hat die Restitutionsklage ausgeschlossen. Die 40.000 Fälle, die bereits erwähnt sind, haben danach keinen Anspruch auf Rückzahlung. Der Löwenanteil der Unternehmen will keine Rückzahlung, da dies mit zu viel Aufwand, Stress und Kosten verbunden ist. Dementsprechend ist die Lage überschaubar. Ist es nicht viel eleganter mit einem Satz das Problem zu lösen statt mit 700 Seiten? Es wäre zudem eine faire Regelung, die die Chance bietet, dass nicht sofort das Bundesverfassungsgericht angerufen wird, was beim SokaSiG zwangsläufig der Fall sein müsste, da die Argumentation der „Sachverständigen“ an allen Ecken und Enden hakt.
2. Welchen Eindruck macht das Gesetz auf die Wähler, die ohne Rechtsgrund verurteilt wurden, die den letzten Euro zusammenkratzen mussten, um die SOKA-BAU zu bedienen, die Haus und Hof verloren haben? Sie haben darauf vertraut, dass endlich Recht gesprochen wird, dass der Albtraum SOKA-BAU endlich ein Ende hat. Ein Schreiben der Kasse füge ich bei. Es ist der ganz normale Wahnsinn.
3. Sie sind der Bundestag, der Gesetzgeber. Wie können Sie sich Ihr ureigenes Recht Gesetze zu machen wegnehmen lassen? Die Tarifvertragsparteien haben Vereinbarungen zu Lasten Dritter getroffen, die durch das Ministerium auf der untersten Ebene durchgewunken wurden. Dies führt zu strafrechtlicher Verfolgung (Seite 19 der Ausschussdrucksache 18 (11) 902). Seit wann entscheiden Tarifvertragsparteien was in unserem Land strafbar ist? Wird ein Unternehmen von der Mafia bedroht, kann man sich von der Polizei schützen lassen. Wird das Unternehmen von der SOKA-BAU bedroht, kommt der Zoll und gibt dem Betrieb den Rest, nachträglich wie sich herausgestellt hat, ohne Rechtsgrundlage. Wer sich, im Nachhinein zu Recht, gewehrt hat, war massiven Repressalien ausgesetzt. Soll dies alles im Nachhinein legalisiert werden? Ist das Rechtsstaatlichkeit?
4. Wenigstens einer der Redner hat festgestellt, dass die Entscheidung vom BAG richtig ist. Es ist materielles Recht verletzt worden. Das ist keine Kleinigkeit. 2014 war die AVE trotz Ministerunterschrift unwirksam. Seit mindestens 2008 waren sowohl die „kleine“ als auch die „große Zahl“ ungeeignet um die gesetzlichen Voraussetzungen von § 5 TVG a.F. zu erfüllen. Haben Sie eine Vorstellung davon mit welcher Härte, mit welchem Psychoterror SOKA-BAU ihre Beiträge einzieht, angeblich zum Wohl der Arbeitnehmer, die dann auf der Straße stehen, wenn dem Arbeitgeber die Luft ausgeht? Nie in den ganzen 10 Jahren, in denen ich SOKA-BAU-Verfahren bearbeite, spielte die Arbeitsplatzsicherung eine Rolle. Nie ist auf einen Cent verzichtet worden, damit ein Arbeitnehmer nicht entlassen wird.
5. Die schriftlichen Ausführungen auf Seite 21ff. sind kritikwürdig. Die Zahlen auf Seite 22 ganz unten sind „schön gerechnet“ worden. Ohne den Auszubildenden müsste das Unternehmen ca. 30.000,- € bar cash sofort bezahlen, plus jährlich ca. 11.000,- € Zinsen aus dem Gesamtbetrag von 90.000,- €. Hier ist das Parlament bewusst getäuscht worden. Es ist auch unzutreffend, dass alle Unternehmen gefunden wurden. Das kann der Außendienst mit seinen wenigen Leuten nicht leisten. Beweis: Deutsche Rentenversicherung Bund. Seit die Künstlersozialabgabe bei den Sozialversicherungsprüfungen mit geprüft wird, hat sich das Beitragsvolumen massiv erhöht. Wenn die Rentenversicherung nur 3 Monate lang mit 2500 Außendienstmitarbeitern schaut, ob die gerade geprüften Unternehmen SOKA-BAU-pflichtig sind und Beiträge leisten, wird sich sofort zeigen, dass dies flächendeckend nicht der Fall ist. Machen Sie den Test, der Aufwand ist minimal. Ähnlich dem Zoll müssten die Außendienstmitarbeiter lediglich fragen, ob die gewerblichen Mitarbeiter baulich arbeiten und ob bereits SOKA-BAU bezahlt wird. Wenn nein, kommt die Adresse des Unternehmens auf eine große Liste, die dann einmal der SOKA-BAU zur Prüfung, zum anderen dem Bundestag zur Kontrolle geschickt wird. Wenn jeder Außendienstmitarbeiter der Rentenversicherung in den 3 Monaten nur ein Unternehmen findet, das bisher noch nicht von der SOKA-BAU gefunden worden ist, wären es schon 2500. Verbunden mit der Stichtagsregelung wäre dies eine sehr gute Alternative zu dem völlig verkorksten Gesetzentwurf, über den Sie sofort beschließen sollen, damit nicht weiter nachgefragt wird.
Es geht nur um Macht und Geld, nicht um Arbeitnehmerrechte. Wollen Sie den Tarifvertragsparteien ihre uneingeschränkte Macht, die sie gnadenlos gegenüber den "Außenseitern" eingesetzt haben, um Wettbewerbsvorteilen zu erlangen tatsächlich zurückgeben? Jetzt ist die einmalige Gelegenheit zu einer Neuregelung, keine 4 Jahre rückwirkend, keine 12% Zinsen auf den höchstmöglichen Betrag, keine Inanspruchnahme von Soloselbständigen, die knapp über dem Existenzminimum leben und auch noch Beitrag bezahlen sollen, keine Inanspruchnahmen von Betrieben, die andere Tarifverträge haben und eine klare Definition, was Bau ist.
Die "Außenseiter" waren über Jahre ohne Rechte. Sie vertrauen nun auf einen demokratischen Prozess, auf Fairness und Gerechtigkeit. Sie vertrauen auf ihre gewählten Vertreter, auf Sie.
Mit freundlichen Grüßen
Ingrid Claas
Rechtsanwältin