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Expertenstreit zur Berufskrankheit 2108

Neues zum Thema „BK 2108“ von Ingrid Claas
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

Mit einem prominent besetzten Podium fand am 21.09.2017 in Kassel ein Workshop statt mit dem Thema:

Wie geht es weiter mit den Wirbelsäulen-Berufskrankheiten, Stand der Wissenschaft und der Rechtsprechung.

Veranstalter war der Deutsche Sozialgerichtstag e.V., Gastgeber der Präsident des Bundessozialgerichts Prof. Dr. Rainer Schlegel, der auch das Grußwort sprach. In der Diskussionsrunde saßen als Juristen die Richterin am Sozialgericht Christine Osterland, als Tagungsleiter der vorsitzende Richter am LSG Hans-Peter Jung und der Vorsitzende des Unfallsenats des BSG Prof. Dr. Wolfang Spellbrink. Die Berufsgenossenschaft war durch Prof. Dr. Stefan Brandenburg vertreten. Auf der medizinischen Seite waren Prof. Dr. Ulrich Bolm-Audorff, Prof. Dr. Michael Kentner, Dr. Björn Menger und Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf.

Das Ergebnis der Tagung kann man in einem Satz zusammenfassen: „Ich weiß, dass ich nichts weiß, also weiß ich“. Das ist der Erkenntnisstand aus der BSG-Entscheidung vom 23.04.2015, wonach die Konsensempfehlungen weiter anwendbar sind, ein aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand jedoch nicht feststellbar ist. Quintessenz der Tagung war, dass es trotz aller Bemühungen keine Kriterien gibt, die tatsächlich in der Lage sind, die extrem schwierige BK 2108 in den Griff zu bekommen. Die Referenten zogen einen weiten Kreis von der BK 70 (DDR) bis zu vergleichbaren Regelungen in Europa, jeweils mit völlig unterschiedlichen Tatbestandsmerkmalen.

Von der Aufnahme der BK 2108 ff. zum 01.01.1993 in die Anlage zur BKVO über das MDD 1999, den Konsensempfehlungen 2005 und den beiden Wirbelsäulenstudien 2007 und 2010 bis zur schon zitierten Entscheidung vom 23.04.2015 war es ein langer Weg. Die Anhaltspunkte im Schwerbehindertenrecht sind inhaltlich nie Gegenstand größerer Auseinandersetzungen gewesen. Kritisiert wurde nur die fehlende Rechtsgrundlage, die schließlich durch die Versorgungsmedizin-Verordnung nachgeholt wurde. Im Gegensatz dazu ist bei der BK 2108 alles streitig geblieben, was auch nur im Ansatz streitig sein kann. Dabei ist den Hardlinern im medizinischen Bereich, zu Recht wie ich meine, vorgeworfen worden, dass ihre persönliche Meinung „die ganze BK ist Mist“ nicht Gegenstand der Begutachtung sein darf. Wer grundsätzlich der Auffassung ist, dass sich ein privater Rückenschmerz nicht von Rückenschmerzen durch schwere körperliche Arbeit trennen lässt und wer sonstige Faktoren, wie Stress am Arbeitsplatz, schlechte Tage, mangelndes Training und Ähnliches mehr mit in die Waagschale wirft, ist als Gutachter ungeeignet. Das Gleiche gilt für Gutachter, die den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf andere Erkrankungen im Umfeld legen, wie Morbus Scheuermann oder metabolisches Syndrom, und die dann auch Abgrenzungsprobleme ent-wickeln, bis hin zu der Auffassung, dass keine Abgrenzung zu privaten Rückenschmerzen möglich ist.

Menger vom IMB Kassel erinnerte zunächst an seinen kürzlich nach kurzer schwerer Krankheit verstorbenen Vorgänger im Institut Dr. Frank Schröter. Er hat dann eindeutig festgestellt, dass ein Gutachten nur erstellen darf, wer die rechtlichen Rahmenbedingungen akzeptiert. Kritik an der BK selbst hat im Gutachten nichts verloren. Es ist die Aufgabe des Gutachters, unter Beachtung des aktuellen wissenschaftlichen Standes, auftragsorientiert Tatsachen festzustellen, die für die Lösung des Falles wesentlich sind.

Es ist kein Geheimnis, dass DWS 1 und 2 sehr viel Kritik erfahren haben. Die BK 2108 sollte transparenter werden und leichter zu händeln sein. Trotz großer Mühe ist dies nicht gelungen. Die Auseinandersetzungen um die Studien haben schließlich auch dazu geführt, dass die Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Werkzeuge in den Hintergrund getreten ist. Die Empfehlungen müssen eigentlich alle 5 Jahre überprüft werden. Dies ist in den Hintergrund getreten und soll jetzt neu angegangen werden. Das BMAS hat weder Geld noch Interesse, sich mit diesem Problemkreis zu beschäftigen. Gefragt ist daher in erster Linie die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung und federführend eben auch die BGW, die, so Brandenburg, mehr als 50 % aller BK 2108-Fälle im Rahmen der Pflegeberufe hat. Der überwiegende Teil der Fälle wird im Rahmen von § 3 BKVO umgeschult, 10 % der Fälle führen zu einer Rente, was im Gesamtdurchschnitt liegt. Dies spricht für eine doch sehr einheitliche Rechtsprechung trotz aller Widrigkeiten.

Fazit:
Die BSG-Rechtsprechung zum MDD ist, auch wenn es von den Medizinern gerne so bezeichnet wird, kein BSG-Modell. Es muss jeder Einzelfall geprüft werden. Auch Fallkonstellationen ohne Konsens sind anerkennungsfähig. Bei einer "black disc" kommt es nicht auf die Einstufung nach Pirrmann an. Viele Fragen sind offengeblieben.
Mit der Entscheidung von 2015 weigert sich das BSG eigenständig medizinische Fragen zu beantworten und verlangt vom Gesetzgeber entsprechende Vorgaben, wie bei anderen BKs auch. Bis es einheitliche Kriterien gibt, sind die Landessozialgerichte eigenständig und frei in ihrer Rechtsauslegung. Die Auslegungsprobleme dürfen nicht zu Lasten der Bürger gehen. Die Konsensempfehlungen sollen überarbeitet werden, was allerdings sehr viel Zeit benötigt. Für einen neuen Konsens ist Geduld erforderlich. Die neue Bundesregierung muss auf den Handlungsbedarf hingewiesen werden. Daneben gab es noch den Appell an die Landessozialgerichte mehr Revisionen zuzulassen, damit sich das BSG intensiver mit den Fragen, die noch offen sind, beschäftigen kann.    

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